Februar: 3. Themenabend – Hauptsache online – Internet zwischen Faszination und Kontrollverlust

Hauptsache online – Internet zwischen Faszination und Kontrollverlust

wie lange darf sich mein Kind mit dem Handy, IPad oder PC beschäftigen+++wie erziehe ich richtig im Umgang mit den Medien+++ was ist erlaubt+++wann wo muss ich Grenzen setzen ?

3. Themenabend
Foto: © wertevollwachsen

Das sind häufige Fragen, die sich Eltern mit Kindern schon früh stellen. Dietrich Riesen, Erzieher, Jugendreferent und systemischer Berater und Therapeut i.A., tätig in der Beratung, Prävention und Fortbildung, hat für wew im Februar einen Vortrag zu diesem Thema gehalten. Er arbeitet in der Fachstelle Mediensucht „return“ in Hannover, bei der Kinder und Eltern Hilfe bekommen, um Medienabhängigkeit zu erkennen und zu bekämpfen.

Eine der ersten Fragen des Abends war, wie viele Bildschirme wir zuhause besitzen. Mit Erstaunen stellten wir fest, dass eine Hand nicht reicht um die richtige Zahl zu nennen. Fernsehen, Laptops, Tabletts, Handys, in unseren Haushalten gibt es genügend (oder zuviel?) davon. Kinder und Erwachsene lassen sich von der Faszination der Medien, der erstaunlichen Vielfalt des Internets, den neuen Apps und den Social Media „abholen“ und mitnehmen. Die letzten Untersuchungsergebnisse zeigen, dass der Internetkonsum von Kindern im Alter von 13 bis 17 Jahren durchschnittlich über 7.5 Stunden am Tag beträgt! Eine erschreckende Größenordnung! Es ist neu in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit, dass Eltern bei einem Thema darauf angewiesen sind, Wissen bei ihren Kindern zu erfragen. Denn wenn es darum geht, Handys einzustellen oder Apps zu installieren, sind sie versierter als der durchschnittliche Erwachsene. Die wenigsten Eltern benutzen Portale wie Youtube oder Vimeo, Snapchat oder Musically, Web-Adressen, auf die Kinder regelmäßig zugreifen. Auch ständig neue Apps, die „hip“ sind, lassen uns Eltern staunen. Wie können wir unsere Kinder dazu erziehen, Medien verantwortungsvoll zu nutzen, vor allem wenn wir selbst auch teilweise damit überfordert sind?

An diesem Abend wurde klar: die Mediennutzung muss zum Alter und zur Reife des Kindes passen. Es gibt keine feste Formeln für entwicklungsbezogene Erziehungshilfen. Einige sehr gute Empfehlungen finden Sie unter www.medienratgeber-fuer-eltern.de.

Wichtig ist zu erkennen, wo die Gefahren lauern:

Mangel an Sozialkompetenz

Kinder die sehr lange am PC spielen, können die Verbindung zur Realität verlieren und sich in der Rolle der Protagonisten des Spiels verlieren. Hier bekommen sie Bestätigung, Lob und Selbstwertgefühl. Dadurch wird das Gehirn ständig „beglückt“ mit Hormonen wie Dopamin, die ähnlich wie Kokain, Kinder in ein ständiges Glücks- und sogar eine Gefühl von Macht versetzen. Dies ist auch durch neueste Ergebnisse der Hirnforschung und die Möglichkeiten bildgebender Verfahren erwiesen.

Bei zu häufigem Konsum kann es passieren, dass die Kinder sich von der Realität mehr und mehr abwenden und das Erlernen von Sozialkompetenzen versäumen.

Kinder in der Pubertät brauchen Bestätigung und Bestärkung. Wenn diese nicht vom Umfeld bekommen, ist die Anfälligkeit für Abhängigkeiten und Suchterkrankungen extrem hoch.

Bindungsunfähigkeit

Kinder werden oft sehr früh mit Bildern konfrontiert, die sie seelisch verletzen. Webseiten mit stark sexuellen oder sogar pornographischen Inhalten lassen die Schamgrenze der Kinder schnell sinken, so dass diese ein falsches Bild von einer gesunden Sexualität und Partnerschaft bekommen. Nicht selten führt dies zur Bindungsunfähigkeit im Erwachsenenalter.

Unruhe/ Konzentrationmangel

Kinder und Jugendliche haben das Gefühl immer „Online“ sein zu müssen, um nichts zu verpassen. „Freunde“ müssen immer und überall erreichbar sein. Das lässt den Kindern und Jugendlichen keinen Raum mehr für Ruhe oder Muße.

Wichtig ist es daher, immer wieder das Gespräch mit den Kindern zu suchen. Bei interaktiven Computerspielen kann es hilfreich sein, nach der Länge einer Spieleinheit zu fragen und das Spielende im Konsens festzulegen. Sie ständig zu kontrollieren oder gar die Handys regelmäßig zu überwachen, kann das Vertrauensverhältnis zwischen Kindern und Eltern allerdings beschädigen. Besser ist es, über die Mediennutzung zu reden, klare Regeln zu setzen und Raum zu geben für das Erlernen von Verantwortung, Kreativität und Freude an der Nutzung von Medien.

 

Wichtige Internetadressen und Links:

Medienratgeber für Eltern

Dieser Ratgeber wurde von MEDIA PROTECT e.V. in Zusammenarbeit mit return entwickelt und bietet hilfreiche Tipps für den Alltag. Das Elternberatungsprojekt des Vereins ist ebenfalls bemerkenswert und wird wissenschaftlich begleitet:

Hier auch Bestellung des Ratgebers:
Praxisbuch zur Prävention von Internet-Pornographie-Konsum.

November: Vortrag „Der Wolf im Schafspelz“ von Monica Mertens

Foto: © wertevollwachsen

Frau Mertens hielt einen spannenden, sehr informativen und anschaulichen Vortrag über eine neuartige Gefahrenlage für Jugendliche, und hier vor allem für junge Mädchen ab 13 Jahren. Hier wird vor allem das Internet als Medium genutzt, um Erstkontakt zu potentiellen Opfern zu bekommen, die später unter Anwendung von Gewalt und Erpressung zu kriminellen Handlungen gezwungen werden.

Das Vorgehen folgt offenbar oft einem Muster. Junge Mädchen werden gezielt aus den „sozialen Netzwerken“ wie Facebook, Instagram, Snapchat etc. je nach Alter, Aussehen und emotionalem Zustand ausgesucht. Dann werden mit Profilen von jungen Männern Fotos geliked und mit Schmeicheleien kommentiert, um die Aufmerksamkeit der Mädchen zu bekommen.

Pubertierende Kinder sind oft naiv und sehr anfällig für Komplimente. Sie sind sich der Gefahren der Erwiderung solcher Kontakte meist nicht bewusst. Daher „beißen“ in dieser Phase viele potentielle Opfer an.

Es kann aber durchaus sein, dass auf der anderen Seite eine kriminelle Organisation von „Loverboys“ sitzt, die nun gezielt jemanden aussucht, der dem Mädchen nachgeht, sich mit ihm trifft, es umgarnt und abhängig von ihm macht. Hat ein Treffen erst einmal stattgefunden, ist das Mädchen in akuter Gefahr. Durch ein Wechselbad an Zuneigung und Geschenken auf der einen und Verachtung und Gewalt auf der anderen Seite wird die Abhängigkeit erhöht und die Hemmschwelle systematisch gesenkt. Sobald es zu ersten sexuellen Kontakten gekommen ist, sind die Mädchen meist erpressbar. Mit der Drohung, den Eltern davon zu erzählen, bringt der „Loverboy“ das Mädchen dazu, ihm „Gefälligkeiten“ zu erweisen. Oft braucht es dann Jahre, bis die Mädchen wieder aus dem Sumpf der Kriminalität mit Prostitution und Drogenhandel heraus zu kommen. Die Schäden bleiben in jedem Fall für das ganze Leben.

Was können Eltern tun?

Kinder im Teenageralter brauchen eine erhöhte Zuwendung und es ist wichtig, gerade auch in diesem Alter, die Kommunikation mit ihnen aufrecht zu erhalten. Durch negative Reaktionen und Abwehrhaltungen der Kinder dürfen sich Eltern in der Zeit der Pubertät nicht einschüchtern und nicht bremsen lassen. Standpunkte und Meinungen sollten jederzeit klar vertreten werden. Das bleibt mit Sicherheit auch bei pubertierenden Kindern nicht ohne Wirkung. Eine Aufklärung der Mädchen und Jungen über die Gefahren des Lebens muss von den Eltern geleistet werden. Auch Kinder müssen lernen, Meinungen und Standpunkte zu entwickeln und klar dazu zu stehen. Dabei ist es auch wichtig, das „Nein-Sagen“ zu lernen. Darauf aufbauend empfiehlt Frau Mertens den Eltern und den Kindern, für eine erhöhte Aufmerksamkeit und Vorsicht bei der Nutzung des Internets und der Sozialen Netzwerke zu sorgen. Auffälligkeiten, die auf akute Gefährdungen von Kindern hinweisen, sollten sehr ernst genommen werden und gegebenenfalls zur polizeilichen Anzeige gebracht werden.

 

 

Aktuell in der Presse:

RP Loverboys 18.11

Quelle: Rheinische Post 18.11.2015