Warum haben wir das Gefühl, dass es heute schwieriger ist Elternzu sein als früher?

Der Rückgang der Geburtenrate in Deutschland geht mit dem weitverbreiteten Gefühl einher,  dass es immer schwieriger wird, Kinder aufzuziehen und zu erziehen. Kindern in der heutigen Welt ein sicheres Fundament zu vermitteln ist einfach heraufordernd.

Aber kein Wunder. Unsere gesamte Gesellschaft bewegt sich in einem Meer von Sorgen und Unsicherheiten. Ob Wirtschaft, Politik oder Krieg,alles ist verhandelbar, relativ, schnelllebig, unübersichtlich.
Die Familie bleibt dennoch der Fels in der Brandung. Das zeigt uns die neue Shell-Jugendstudie von Oktober 2024. Sie untersucht anhand einer repräsentativen Befragung die Einstellungen und Werteorientierungen der Jugendlichen in Deutschland im Alter von 12-25 Jahren. Dies geschieht turnusmäßig alle vier- bis fünf Jahre.

Auf Partnersuche


Die Studie, die Ende Oktober vorgestellt worden ist, zeigt, dass 92% der Jugendlichen sich wünschen, eine Familie gründen zu wollen. Die Sehnsucht nach einer stabilen Partnerschaft, die in Treue und Liebe fruchtbar und offen für das Leben ist, ist nach wie vor da. Denn anders als viele denken, bleibt der Kinderwunsch der jüngeren Generation stabil.

Aber warum haben deutsche Frauen trotzdem weniger Kinder als früher? Warum heiraten die Menschen immer seltener? In den letzten Tagen habe ich eine Vielzahl von jungen Menschen getroffen, die bereit sind, eine Familie zu gründen und sogar zu heiraten. Aber leider ist der passende Partner nicht zu finden. Die Beziehungsfähigkeit der Generation Z (1995-2010) scheint viel schlechter zu sein als die der Generation Y (1980-1994) – die Millennials genannt- die erste Generation, die mit einem Smartphone groß geworden ist. Nimmt die Bindungsfähigkeit der jungen Erwachsenen ab? Die deutliche Antwort ist, ja! Wir haben eine hohe Anzahl von Menschen, die kaum bereit sind, sich selbst auszuhalten, die meinen, ständigen medialen Input zu brauchen. Menschen, die nicht gelernt haben miteinander zu sprechen, gut zu kommunizieren oder empathisch zu sein. Der Autor Michael Nest spricht sogar über die „Generation beziehungsunfähig“. Junge Menschen, haben nicht gelernt, Verantwortung für die eigenen Handlungen zu übernehmen.  Es sind immer andere Schuld. Sie sind nicht zur Reife erzogen worden.  Wir brauchen Eltern, die diese Entwicklungen verstehen und agieren können.

Was bedeutet es eigentlich heute, Eltern zu sein?

Wir haben uns als Eltern zu oft daran gewöhnt, dass die Kinder fast den ganzen Tag aus dem Haus sind, dass sie ständig Medien konsumieren, dass der Alltag mit Aufgaben komplett ausgefüllt ist. Die Eltern und die Kinder von heute haben keine Zeit mehr. Wir haben die Tatsache aus dem Auge verloren, dass es Zeiten für alles gibt: Zeiten zum Arbeiten und sich auszuruhen, Zeiten der familären Einheit, der Kommunikation, der Fürsorge (so wie die Zeit, zu der alle sich an den Tisch setzen und miteinander sprechen) und auch Zeiten zum Feiern. Jedes Kind liebt diese Rituale, z.B. an Weihnachten, und
sie sorgen dafür, dass familiäre Gewohnheiten entstehen.
Die Bindung zwischen Eltern und Kindern wächst nämlich dort, aber auch durch viele kleine, fast unscheinbare Momente im Alltag. Jedes Lächeln, jede fürsorgliche Handlung, jeder bestätigende Blick, jedes wiederholte Ritual und diese wichtigen festen Familienzeiten. Die Beziehung, die sich dort zwischen die Familienmitglieder bildet, ist die Basis für eine gelungene Partnerschaft in der Zukunft, ebenso wie für gute, anhaltende Freundschaften.


Eltern zu sein bedeutet, mündige Menschen für das Leben zu erziehen und deshalb brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Familie. Wir brauchen eine konstanten Entschleunigung und mehr Zeit füreinander. Die 30-Stunden-Woche des Vaters ist für viele inzwischen attraktiver als eine Erwerbstätigkeit in Vollzeit – darin sind sich junge Männer und
Frauen einig. Dies bestätigt ebenfalls die aktuelle Shell-Studie.

Die Verantwortung nicht wegschieben


Die Shell-Studie zeigt auch deutlich, dass mehr junge Leute »nach Sicherheit streben« (2019: 77%; 2024: 87%). Kein Wunder, wenn Kinder sich zwischen 60 Geschlechtern entscheiden können, oder wenn es Ihnen vermittelt wird, dass alles verhandelbar ist, dass Ihre Gefühle entscheidend sind und dass es keine objektive Wahrheit gibt.
Dieses Bedürfnis nach Sicherheit können und sollten (!) wir als Eltern frühzeitig vermitteln.
Es ist ein Privileg, Eltern zu sein und unsere Hauptaufgabe ist es unsere Kinder zu mündigen Menschen großzuziehen, die wissen, was sie wollen, die ein festes Wertegerüst haben, die Verantwortung übernehmen und selbständig Entscheidungen treffen können. Leider ist es so, dass Schule und Kita, Lehrer und Erzieher sehr oft unsere Ur-Aufgabe übernehmen müssen, weil die Erziehung im Elternhaus fehlt. Es ist aber vorrangig unsere Pflicht, unsere Kinder zu erziehen. Lasst uns diese Verantwortung ernst nehmen und nicht wegschieben. Das gibt unseren Kindern Sicherheit und Ausrichtung.

Große Ermutigung


Eine notwendige Neuausrichtung, die es zulässt aus dem Teufelskreis der ständigen Bespaßung und Aktivität in der Familie auszubrechen, zu einer Zeit der Ruhe, Einheit und gemeinsamen Momente, würde unserer hastigen Gesellschaft gut tun. Die bedingungslose Liebe können wir nur so ausleben und wachsen lassen. Liebe ist vor allem Beziehung.
Die große Ermutigung der Studie ist, dass die Jugend ihre Eltern als Erziehungsvorbilder anerkennt. Das Verhältnis Jugendlicher zu ihren Eltern hat sich in den letzten Jahrzehnten stetig verbessert, vermutlich auch dank eines Erziehungsstils, der mehr auf Autonomie als auf Autorität und Härte setzt. Ein Vergleich zu den Ergebnissen der Shell-
Jugendstudie von vor 40 Jahren macht die Veränderung deutlich: Im Jahr 1985 sahen 53% aller 15- bis 24-Jährigen im Westen Deutschlands ihre Eltern als Erziehungsvorbild, inzwischen sind es 78%.
Weiter so, liebe Eltern, wir sind nicht perfekt, unsere Kinder auch nicht. Aber in der Familie können wir am Besten lernen, wie man bedingungslos liebt.

Andrea Heck