26.10.2016 Elternforum des Elternvereins NRW in Cooperation mit wertevollwachsen
Tabea Freitag, Dipl.-Psychologin und Co-Leiterin der Fachstelle Mediensucht „return“ in Hannover hat uns ein spannendes und teilweise sehr ernüchterndes Bild über den aktuellen Internetkonsum der Kinder und Jugendlichen gezeigt. Der Medienkonsum von Kindern ist drastisch und stetig in den letzten Jahren gestiegen. Aber nicht nur die Quantität an Medien, sondern auch die Inhalte von Chats und Videos und die Dauer von Computerspielen sind meistens nicht dem Kindeswohl förderlich.
Kinder „verlieren“ sich oft im Netz und sind mit einer sehr großen Menge an Informationen, Themen und Bildern konfrontiert, die sie oft nicht verarbeiten können. Dieser problematische Internetgebrauch endet leider viel zu häufig in einer Internetsucht.
Jugendliche haben eine stärkere Suchtgefährdung als Erwachsene, denn bis zum 24. Lebensjahr entwickelt sich der Bereich des Gehirns noch, der für rationale Entscheidungsprozesse benötigt wird, während das Belohnungszentrum bereits sehr stark reagiert. Emotionen und Belohnung beeinflussen das Verhalten daher in der Pubertät stärker als im Erwachsenenalter.
Viel zu früh werden Kinder mit sexualisierten Videos und Bildern konfrontiert. Wenn ein Kind schamverletzende Bilder nicht einordnen kann, bringt das Probleme mit sich. Kinder ahnen, dass bestimmte Inhalte nicht unbedingt ihrem Alter entsprechen; aber die Faszination der Bilder und vor allem die Einfachheit, sexuelle Handlungen mit ansehen zu können und davon erregt zu werden, erhöhen die Attraktion eines heimlichen Pornokonsums.
So lernen Kinder und Jugendliche ein falsches Bild von Sexualität, in dem persönliche Wertschätzung und liebevolle Bindung nicht vorkommen. Denn Pornografie reduziert die Sexualität auf Lust und Spaß, was zwangsläufig bedeutet, dass Verantwortung, Verbundenheit und Einfühlungsvermögen sehr stark in den Hintergrund gedrängt werden. Manche junge Menschen geraten in einen belastenden Zwiespalt. Einerseits verlockt sie die pornografische Darstellung, anderseits lehnt ihr Gewissen anfangs ein solches Verhalten ab. Für viele Jugendliche und junge Erwachsene jedoch gilt: Was online gelernt wird, wird dann auch offline praktiziert. Dabei spielen demütigende und schmerzhafte Praktiken und das vermittelte Frauenbild der Pornoindustrie eine wichtige Rolle. Frauen werden als jederzeit verfügbar und als Sexobjekte dargestellt. So werden junge Männer auf eine narzisstische, frauenverachtende Befriedigung konditioniert und junge Frauen, ja auch Mädchen, oft dazu getrieben, es ihnen sexuell recht zu machen, indem sie sich Erniedrigungen gefallen lassen.
Eltern sollten einfühlsam und mit Rücksicht auf Schamgrenzen mit ihren Kindern immer wieder über Sexualität reden. Kinder müssen lernen, dass sich dauerhaft positiv erlebte Sexualität nur zusammen mit menschlicher Bindung erfahren lässt und hierfür persönliche Reife Voraussetzung ist. Gleichzeitig sollten Kinder und Jugendliche so weit und so lange wie möglich von hohem Medienkonsum und dem Zugang zu Pornografie abgehalten werden, damit sie dieser nicht verfallen. Je später die jungen Menschen ein internetfähiges Handy bekommen, desto besser. Die Verfügbarkeit von Bildschirmmedien in Bezug auf die zeitliche Nutzung, die Inhalte und die Geräteausstattung muss dem psychosozialen Reifegrad und dem Maß an Eigenverantwortlichkeit der Heranwachsenden kontinuierlich angepasst werden. Elterliche Konsequenz und Durchhaltevermögen lohnt sich, auch wenn „angeblich“ alle Altersgenossen schon eines haben.
Eine gesunde Sexualität braucht bewusste Bindung und auch Grenzen. Aber auch Zeit. Heranwachsende brauchen Orientierung und Gespräche mit Erwachsenen, die sie über Liebe und Sexualität, aber auch über die Folgen von Pornokonsum aufklären. „Fit for Love?“ ein Praxisbuch für eine bindungsorientierte Sexualpädagogik und zur Prävention von Pornokonsum für Schule und Jugendarbeit vermittelt auf anschauliche und nicht schamverletzende Weise die Bedeutung von Liebe und Sexualität im Sinnzusammenhang einer vertrauensvollen Paarbindung, z.B. durch Bilder vom inneren Garten (für Identität und Intimität), vom Feuer oder Fallschirmspringen. Die vielfältigen Anregungen zum Gespräch und Informationen zur Wirkung von Pornografie können auch von Eltern und anderen Bezugspersonen genutzt werden.
Unsere Rolle als Eltern ist und bleibt es, Vorbilder zu sein und die ersten Ansprechpartner in allen Lebensfragen. Das Gespräch in Liebe und Geduld mit unseren Kindern zu suchen, ist unsere große Aufgabe und Herausforderung!