Je ne regrette rien – Alexandra Maria Linders Familienkolumne

lFullSizeRender 9Alles, einfach alles haben wir falsch gemacht. A-Kind bleibt in Berlin nicht immer brav zu Hause, sondern erkundet das Nachtleben, und beten tut sie auch nicht den ganzen Tag, ganz zu schweigen von der gesunden Ernährung und all unseren Warnungen vor schlechtem Umgang, Sommerschühchen im Winter etc. pp. B-Kind gestaltet seinen Tagesablauf jetzt mit 18 und vor dem Abi noch weitgehender, wie er will, diskutiert täglich mit den Eltern und hat zu allem Überfluss noch eine eigene Meinung, die, was fällt ihm ein, von unserer abweicht.

C-Kind ist zum Glück noch in einem Alter, wo man elternliche „Erfolge“ ab und zu wenigstens erahnen kann. Und dafür habe ich auf alles verzichtet??? Selbstverwirklichung kam für Mütter jahrelang kaum in Frage – hat immer noch keine landläufig als solche bezeichnete tolle Karriere gemacht und verdient immer noch weniger als der Gatte. Und zu diesem großen mütterlichen Selbstmitleid-Kummerkasten kommt neuerdings noch der aktuellste Trend, den wir natürlich wie immer unbedingt mitmachen müssen: die bereute Mutterschaft.

Ja, sie bekennen sich und sie bereuen sich, Verzeihung, nicht sich, sondern ihre Entscheidung für ein Kind, all die frustrierten Mütter, die natürlich ihre Kinder nicht bereuen, aber ihren Status als Inhaberin der Mutterschaft (heißt das jetzt, dass sie lieber als Nachbarn ihrer Kinder fungieren würden?). Nicht einmal ihren Kaffee könnten sie trinken, viermal werde er kalt und müsse in die Mikrowelle zum Nacherhitzen. Nicht einmal in Vollzeit arbeiten können sie, ohne sich zwischen Kind und Karriere zu zerreißen. Und noch schlimmer: Sie kaufen Kleidung für die Kinder statt für sich selbst, sie sitzen in der Kinderartzpraxis statt bei der Kosmetikerin, sie müssen dorthin in den Urlaub fahren, wo es für Kinder gut ist, statt dorthin, wohin sie selbst gern führen. Oh welch unaussprechlicher Jammer. Donald Duck hätte es treffend mit Ächz, Stöhn, Keuch, Pust, Schnauf ausgedrückt.

Bei der Lektüre dieser herausexplodierenden Selbstbedauerungsergüsse, die in renommierten Zeitungen ebenso zu finden sind wie auf Internetportalen, beschleicht einen der Eindruck, dass der eigentiche Grund der überbordenden Selbstbemitleidung gar nicht die Mutterschaft ist, sondern das Gefühl, nicht konsequent und permanent das getan zu haben, was heutzutage am meisten zählt und von vielen überzeugten Einzellebewesen vorgelebt wird: Sich ohne Rücksicht auf andere und auf Kosten vieler total selbst zu verwirklichen. Was für eine Traumvorstellung! Würde ich Pharaonen ausbuddeln, dort in der Ferne im ägyptischen Wüstenland? Wäre ich Botschafterin für mein kleines, gebeuteltes Heimatland in der weiten Welt, in Südamerika? Hätte ich wohl doch noch meine Opernkarriere gestartet und tourte als Diva über die Bühnen? Ach, was für ein Leben hätte man führen können ohne all die zweibeinigen Hinderer?

Die Kehrseite der Medaille zeigt sich spätestens im Alter: Kein Pendant an der Seite, mit dem man den Lebensabend verbringen möchte und kann? Keine nervigen Familienfeiern mit Kind und Kegel und Enkel oder mit Kusinen, Nichten und Neffen? Keine Idee, mit wem man einen herrlichen Urlaub oder Sonntag verbringt? Gerade diejenigen, die sich total selbstverwirklicht haben, machen dann keinen besonders glücklichen Eindruck, jedenfalls keinen glücklicheren als diejenigen, die die Hütte voll hatten.

Jeder, der behauptet, Karriere und Familie ginge gleichzeitig und in Perfektion, hat noch nie die Nächte durchgemacht, um Windeln zu wechseln, Babies zu stillen und nebenbei seine Abschlussarbeit an der Universität zu schreiben ( das Ergebnis sind unter anderem blaue Ringe unter den Augen statt Lidschatten darüber). Was den klagenden Damen fehlt, ist das Sich-Freimachende von dem Druck, der in unseren Gesellschaften ausgeübt wird. Verzeihung, aber es ist absolut unserer Sache, wie wir unser Famiienleben regeln, wer welche Aufgaben übernimmt, wie wir Karriere definieren und überhaupt. Und zum Jammern haben wir keine Zeit.

Besonders prickelnd ist in diesem Zusammenhang die These der Verursacherin des ganzen Mitleids-Hypes, die Mutterschaft als „kulturelles und historisches Konstrukt“ bezeichnet. Na dann könnten wir das ja problemlos gendern, äh ändern: Jungs, jetzt seid Ihr mal dran mit Schwangerschaftsgymnastik und Umstandskleidung.

In der ganzen Diskussion ist keine Rede davon, was die „unterdrückende“ Mutterschaft an woanders kaum zu erwerbenden Kenntnissen verursacht. Welcher selbstvewirklichte Einzelzeller kann mit fremdsprachigen Stofftieren spontane Theateraufführungen inszenieren, Schaukelgerüste bauen, sich zwischen Ritter Rost, Schlagzeugstunde und Tanzeinlage auf intellektuelle Arbeit konzentrieren, ein kleines Unternehmen leiten, eine Horde Heranwachsender bändigen, Heuschreckenschwärme füttern, Elternsprechtage heroisch überstehen, tägliche diplomatische Krisen bewältigen, Achtzehnstundetage pausenlos absolvieren? Ich klaue mal bei Edith Piaf: Non, je ne regrette rien.

Quelle: Vatican Magazin, Heft 4 – April 2016. Rubrik Ach nee, Kinder! Familienkolumne