TOP zum Thema Juli: 24h KITA

Fast 700.000 Kleinkinder gehen derzeit in Kitas, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am 14. Juli herausgab und nun rührt unsere Familienministerin in großem Stil die Werbetrommel für das 100 Millionen schwere „Kita Plus“ Programm, mit dem eine 24h-Rundumbetreuung für unsere Kleinsten gewährleistet werden soll. Begründung: Frühkindliche Bildung sei zentral für die Entwicklung!

Dies sah Kurt Biedenkopf, der damalige Ministerpräsident von Sachsen ähnlich, als er 1999 auf einem Kongress zum Thema „Erziehungsgehalt in Europa“ sagte:

…nichts entscheidet mehr über die Existenz der Gesellschaft, ihre Kultur, ihre Sprache, ihre Identität, als der Nachwuchs und die Art und Weise, wie dieser Nachwuchs in den ersten Jahren seines eigenen Lebens geprägt wird…“

…allerdings bezog sich das damals auf den Wert von Familienarbeit!

Schnee von gestern oder wie kommt es, dass der Staat inzwischen selbst die Erziehung auch von Kleinkindern massiv in die Hand genommen hat und  sich dabei konsequent dem Modell „DDR“ annähert?

Feministinnen mit Blick auf die Emanzipation der Frau und Wirtschaftsverbände mit Blick auf das „Humankapital Frau“ geben sich hier die Hand und verfolgen mit Rasanz die selben Ziele:

Auf dem Krippengipfel 2007 hat die damalige Bundesfamilienministerin von der Leyen erstmalig als Ziel vorgegeben, dass jedes dritte Kleinkind im Jahr 2013 einen Betreuungsplatz erhält. Seit August 2013 hat schon jedes Kind ab einem Jahr einen Rechtsanspruch auf einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz. Frau Schwesig setzt noch eins drauf und steuert die 24-Stunden-Kita an, beflügelt von einer aktuellen Allensbach-Studie, die angeblich genau diesen Wunsch von Eltern bestätigt sieht.

Wie immer kann man die Dinge von zwei Seiten sehen…

Wir lesen ein bisschen genauer und stellen fest: mindestens ebenso viele Eltern, nämlich genau 50%, wollen gar nicht mehr Betreuung für Ihre Kinder und wären stattdessen zufrieden, wenn sie Steuererleichterungen und durch Teilzeitarbeit einen besseren Wiedereinstieg in den Beruf bekämen statt einer Rundum-Betreuung für ihre Kleinen. Dies zeigt sich auch an der deutlich gestiegenen Nachfrage nach dem Betreuungsgeld, von vielen als „Herdprämie“ diffamiert und marginal im Verhältnis zu dem Geld, das in jeden einzelnen Kitaplatz investiert wird. Denn nicht alle Eltern wollen sich die Erziehung vom Staat aus der Hand nehmen lassen. Nicht jede Familie setzt ihre Kinder nur vor den Fernseher und die Bedeutung der Kita als Bildungsstätte wird reichlich überhöht.

Donata Elschenbroich, akademische Erzieherin und Autorin des Buches „Weltwissen der Siebenjährigen“ schwärmte kürzlich in der FAZ:

Das deutsche Bildungssystem begegnet unseren Kindern erstmals durch Erwachsene im Kindergarten. Dabei erfährt das Kind etwas höchst Erstaunliches, so unter allen Lebewesen nur bei den Menschen zu beobachten: Ältere Artgenossen bemühen sich systematisch und nach Kräften, von ihrem Wissen abzugeben und zu teilen. Das Kind erfährt, als könne es gar nicht anders sein: eine erwachsene Person, nicht mit mir verwandt, vielleicht sogar von anderer Hautfarbe, hält es für bedeutsam, dass mein Fuß in diesen Schuh nicht passen will. Die Person deutet auf einen anderen Schuh. Sie verharrt aufmerksam, bis ich nach einigem Zögern selbst den Dreh gefunden habe. Problem gelöst! Die Person freut sich, gratuliert mir!“

Wir meinen, das deutsche Bildungssystem begegnet unseren Kindern zunächst einmal durch die Eltern, denn die sind ja auch nicht im Niemandsland der Bildung groß geworden! Nichts gegen die Fähigkeiten von Erzieherinnen, aber diese prosaische Beschreibung eines Vorgangs im „Leben lernen“ findet auch in jeder Familie statt. Das können und tun auch ganz normale Mütter, Großmutter Opas und Papas, dafür brauchen wir  keine „frühpädagogische Fachkraft“ und Bildung läuft in der Familie eigentlich ganz nebenbei ab, am Küchentisch, beim Kochen, einkaufen oder sonst wo.

wertevollwachsen: Vater und Kind im Garten
Foto: © Mareile Albertz

Kleine Kinder machen das ganz prima mit, was sich an ganz normalen Tagen in einer Familie abspielt und sie lernen eine Menge dabei.

Die Kinderkonferenzen, die nach Aussage von Frau Elschenbroich mittlerweile schon die Regel in vielen Kindergärten sind, damit die Großen mit den Kleinen „Projekte machen“ – man könnte auch sagen „spielen“ –  gibt es dazu auch noch gratis, ganz ohne „Konferenz“! Im Glücksfall sind nämlich auch noch Geschwister- oder Nachbarkinder da und die spielen naturgemäß auch so miteinander, ganz ohne Planung und Ansage.

Keine Frage, die Lebensentwürfe werden immer vielschichtiger und es gibt sicher für manche Eltern gute Gründe, ihre Kinder in die Kita zu geben. Erschreckend ist jedoch, mit welcher Vehemenz  der Kitaausbau von den Parteien übergreifend gefordert wird und wie wenig Gedanken man sich über die Folgen macht.

Zum Glück gibt es  noch diese 50% Eltern, die das auch erkennen und  einfach nicht mitmachen und wir sollten ihnen mehr Gehör verschaffen! Manche rudern auch wieder zurück, nachdenklich geworden durch ein Leben im gehetzten Modus, auch wenn sie dafür vielleicht auf das ein oder andere verzichten müssen. Alles hat seine Zeit, und Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist häufig nur ein Ammenmärchen, ausgetragen auf dem Rücken der Mütter und leider auch der Kinder:

Laut der amerikanischen NICHD-Studie aus den Neunzigern(!) haben Kitakinder unter drei einen Cortisolspiegel (Stressindikator), der dem eines Managers mit Burnoutsyndrom entspricht.

Der Kinderarzt Dr. med. Rainer Böhm nimmt hierzu auf dem sozialpädiatrischen Kongress in Bielefeld 2011 schon deutlich Stellung:

Chronische Stressbelastung ist im Kindesalter die biologische Signatur der Misshandlung. Kleinkinder dauerhaftem Stress auszusetzen, ist unethisch, verstößt gegen Menschenrecht, macht akut und chronisch krank.“ (Weiterlesen…)

Darüber redet man nicht gern und dies wird medial weitestgehend unter dem Deckel gehalten. Die Entscheidungsträger scheint es jedenfalls nicht weiter zu beeindrucken.

Hunde haben es da besser, bei Tieren ist ein Konsens schnell erreicht: Als wir unseren Welpen bekamen, riet uns die Züchterin, das Tier bloß nicht im ersten halben Jahr in fremde Hände zugeben. Der junge Hund müsse erst mal wissen, wo es hingehört und wer sein Rudel ist, damit er Grundvertrauen bekommt! Klar doch, verstehen wir total!

Kennen wir aber doch auch von den Bindungswissenschaftlern… die warnen  schon lange vor den dramatischen Folgen einer mangelnden Bindungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen.

Wie war das noch mal? Ein Menschenjahr entspricht sieben Hundejahren, also ein halbes Hundejahr entspricht dreieinhalb Menschenjahren, kommt vielleicht also doch hin mit der alten Regel, so ca. ab drei in den Kindergarten:) und vielleicht ist Familie leben doch kein Schnee von gestern…

 

Ihr Team von wertevollwachsen e.V.